Wir sind so gestrickt, dass wir andere Menschen brauchen. Das ist eine Tatsache. Fangen wir also mit der Aussage an, dass emotionale Bedürftigkeit an sich nichts Schlimmes ist.
Wo wären wir ohne die Liebe und Unterstützung anderer Menschen? Es ist eine gute Sache, andere zu brauchen und sich auf sie zu verlassen.
Beispielsweise brauchst du in schwierigen oder schweren Zeiten in deinem Leben vielleicht deinen Partner oder Ehepartner mehr oder stützt dich mehr auf ihn, wenn du dich anhänglicher fühlst oder mehr emotionale Unterstützung brauchst als sonst. Das ist recht normal.
Warum bin ich überhaupt so bedürftig?
Wir alle sehnen uns danach, verstanden, unterstützt, geliebt und akzeptiert zu werden, und es ist okay, das so zu empfinden.
Emotional zu bedürftig zu sein schafft eine ungesunde Dynamik selbst in den besten Beziehungen. Wenn du also merkst, dass deine eigene emotionale Bedürftigkeit außer Kontrolle geraten ist, ist es wichtig, dass du überlegst, wie du damit aufhören kannst, so anhänglich zu sein.
Ein gesunder Mensch zu sein heißt, alleine stehen zu können.
Du solltest fähig sein, mit dem Alleinsein umgehen zu können und deine eigenen Angelegenheiten zu regeln. Du solltest in der Lage sein, deine Bedürfnisse auszudrücken. Und deine Beziehung sollte am besten als interdependent beschrieben werden können, mit einem angemessenen Gleichgewicht der Zeiten, die gemeinsam und getrennt verbracht werden.
In dieser Art von Beziehung leben zu können hat viel mit deiner Persönlichkeit und deinem Bindungsstil zu tun.
Psychologen dachten früher, dass unser Bindungsstil hauptsächlich auf unsere Erziehung zurückzuführen sei, also wie du als Baby und in der Kindheit betreut worden bist. Wir wissen heute allerdings, dass dies nur ein Teil des Puzzles ist.
Dein Bindungsstil entspringt nicht nur aus einer Quelle, sondern auch aus anderen Faktoren einschließlich deiner Lebenserfahrungen, Genetik und deinen gewählten Beziehungen.
Es gibt drei Hauptbindungsstile: sicher, ängstlich und vermeidend.
Dein Bindungsstil wirkt sich darauf aus und spiegelt wider, wie sicher oder unsicher und damit wie bedürftig du dich auf folgende Weise in Beziehungen fühlst:
Wenn du einen sicheren Bindungsstil hast…
Du bist warm und liebevoll und bist höchstwahrscheinlich von Bezugspersonen großgezogen worden, die beständig fürsorglich und ansprechbar waren. Du hast andere positive und gesunde Beziehungen gehabt. Du genießt die Nähe, die mit diesen einhergeht, ohne dir zu große Sorgen um deine Beziehung zu machen.
Du bist dazu fähig, deine Bedürfnisse auf gesunde Art zu kommunizieren. Du bist in der Lage, die Höhen und Tiefen deines Lebens mit dem Partner zu teilen, genau wie er seine mit dir teilen kann.
Wenn du einen sicheren Bindungsstil besitzt, gibst du ein höheres Maß an Zufriedenheit in deiner Beziehung an und bist in der Lage, hohe Maße an Beziehungszufriedenheit, Verbindlichkeit und Vertrauen aufrechtzuerhalten. Du erwartest von deinem Partner, dass er liebevoll und aufmerksam ist, ohne Angst zu haben, dass du die Liebe deines Partners verlierst.
Zu guter Letzt fühlst du dich mit Nähe wohl. Paare in einer sicheren Beziehung zeigen viele Verhaltensweisen, die weiteres Wachstum bei der Weiterentwicklung fördern.
Wenn du einen vermeidenden Bindungsstil hast…
Menschen mit einem vermeidenden Bindungsstil wirken oft geringschätzig und minimieren die Nähe zu anderen. Du bist wahrscheinlich in einer Umgebung aufgewachsen, die weniger emotional war und in der Unsicherheit und Bedürftigkeit nicht toleriert wurden.
Es ist wichtig, dass du ein Maß an Unabhängigkeit und Selbstständigkeit aufrechterhältst. Du bevorzugst Autonomie statt Nähe.
Du wünschst dir vielleicht die Nähe, die in einer Beziehung bestehen kann, aber du hast Angst vor zu viel Nähe, sodass du deinen Partner immer auf Armeslänge auf Abstand hältst. Du hast gelernt, Mauern hochzuziehen und nicht zu nahe heranzukommen, aus Angst, dass du bedürftig wirken (oder sogar jemanden auf gesunde Weise brauchen) könntest.
Wenn du in einer Beziehung mit jemandem bist, der ängstlich ist, distanziert du dich und wirst ablehnend und unverbindlich, sobald dein Partner anfängt, bedürftig zu werden oder mehr Zeit von dir zu wollen.
Wenn du einen ängstlichen Bindungsstil hast…
In beiläufigen Beziehungen merkst du vielleicht, dass du nicht so bedürftig bist, aber in einer Liebesbeziehung können diese Tendenzen – die Tendenz, bedürftig zu sein – an die Oberfläche kommen. Deine Beziehung kann dadurch ungesund werden und du kannst das Gefühl bekommen, ein wenig außer Kontrolle geraten zu sein.
Emotional zu bedürftig zu sein – zu fordernd, anhänglich, nervig, fragil – kann eine Katastrophe für deine Beziehung bedeuten.
Du hast die Tendenz, deinem Partner sehr nahe sein zu wollen und das Bedürfnis nach großer Nähe; allerdings hast du Angst, dass dein Partner keine so große Nähe will wie du. Du merkst, dass du aufgrund dieser Angst sehr sensibel auf jede Veränderung in seinem Verhalten oder auf kleine Stimmungsschwankungen reagierst.
Du verwendest viel deiner Energie darauf, deine eigenen Emotionen rund um die Beziehung zu handhaben.
Wenn du unter allen drei Bindungsstilen einen ängstlichen Bindungsstil hast, bist du oft bedürftiger als andere.
Da du deine eigenen Bedürfnisse minimierst oder verleugnest, wendest du dich an andere oder deinen derzeitigen Partner, um deine emotionalen Lücken und Leere auf eine Weise zu füllen, die, wenn du nicht aufpasst, manipulativ werden kann.
Kommt dir einer dieser Beschreibungen zu den Verhaltensweisen und Eigenschaften bekannt vor, die Menschen mit ängstlichem Bindungsstil häufig haben?
- Du machst dir Sorgen um die Liebe deines Partners und “suchst” nach Angewohnheiten und Nuancen, die darauf hindeuten könnten, dass dein Partner dich nicht liebt.
- Du bist oft emotional überfordert und wendest dich an deinen Partner, damit er dafür sorgt, dass du dich sicher fühlst, oder du erinnerst ihn ständig daran, wie du dich fühlst.
- Du bist unsicher und reagierst zu empfindlich auf jede Kränkung.
- Deine Eltern (oder ein Elternteil) haben nicht konsequent für dich gesorgt. Dies hat zu innerer Angst und Unruhe geführt, die zu deiner Ängstlichkeit beitragen, vor allem im Hinblick auf Beziehungen.
Anhängliches, ängstliches Verhalten laugt Partner emotional aus und überfordert sie mit ständiger Bedürftigkeit. Sie fühlen sich erschöpft und haben das vielleicht auch dir gegenüber schon zum Ausdruck gebracht, und dennoch tust du als ängstlicher Mensch in einer Beziehung genau das, was du nicht tun solltest – du stößt deinen Partner weg.
Aber es ist, als ob du einfach nicht damit aufhören kannst. In deinem Kopf schreist du vielleicht: “Hör auf damit! Sei nicht so bedürftig! Frag nicht immer wieder das Gleiche!” – aber du kannst nicht aufhören. Du wirst von diesem ungesunden Verhalten angezogen wie die Motte vom Licht.
Deine Verhaltensweisen sind kontraproduktiv, aber im fraglichen Augenblick kommt es dir wie eine gute Idee vor und fühlt sich tröstlich an – für dich.
Dein Partner erlebt es ganz anders. Wahrscheinlich sagt er sich selbst, dass er sich aus dem Staub machen sollte, weil alles, was er tut, einfach nicht genug für dich ist. Es ist nie genug. Dein Partner kann dein Wachstum nicht genug ermutigen, dir nicht genug Komplimente machen oder dich genug beruhigen.
Wenn du denkst, dass dein ängstlicher Bindungsstil dazu führt, dass du emotional zu bedürftig bist, stelle dir selbst diese 9 Fragen:
1. Erwartest du von deinem Partner, dass er dafür sorgt, dass du glücklich bist?
2. Erwartest du von deinem Partner, dass er all deine Bedürfnisse erfüllt?
3. Erwartest du von deinem Partner ständige Bestätigung und Versicherung und wendest du dich an andere, damit sie dafür sorgen, dass du dich gut fühlst? Und selbst wenn du das bekommst, bist du ständig darauf angewiesen?
4. Fühlst du dich verlassen, wenn dein Partner nicht verfügbar ist? Hast du Angst, dass dein Partner nicht für dich da sein wird, wenn du ihn brauchst?
5. Wirst du traurig oder wütend, wenn dein Partner nicht auf eine bestimmte Art reagiert oder ein bestimmtes Bedürfnis nicht erfüllt?
6. Findest du es schwer, allein zu sein? Und wenn du es bist, versuchst du, die Leere mit anderen Ablenkungen zu füllen oder lässt dir vergangene Gespräche durch den Kopf gehen und sorgst dich, dass dein Partner dich verlassen könnte?
7. Ist deine Beziehung der Mittelpunkt deines Universums und hat sie immer Vorrang vor deinen Beziehungen zu anderen Freunden oder der Familie?
8. Stört es dich, wenn du nicht in die Pläne deines Partners eingeschlossen bist?
9. Wirst du eifersüchtig auf Dinge, die dein Partner ohne dich unternimmt?
Wenn du auf alle oder die meisten der Fragen oben mit Ja geantwortet hast, ist die gute Nachricht, dass du deine emotionale Bedürftigkeit überwinden kannst.
Wie du aufhörst, in Beziehungen emotional bedürftig zu sein
1. Werde dir deiner Bedürftigkeit bewusst.
Bewusstheit ist der allererste Schritt, ein Problem zu erkennen und zu beheben. Dies ist bei jeder Herausforderung im Leben grundlegend wichtig. Wenn du dir deiner Verhaltensweisen bewusster wirst, beginnst du den Prozess, tiefere Einblicke zu bekommen, wer du als Mensch bist, damit du erforderliche, nachhaltige Veränderungen anstoßen kannst.
Nimm dir die Zeit, die oben aufgeführten wichtigen Fragen zu stellen und zu beantworten. Das Bewusstwerden deines Bindungsstils ist der erste Schritt, weil du dadurch die Chance bekommst, eine glücklichere, erfüllendere Beziehung zu schaffen.
2. Halte deine Ängste und die Unwägbarkeiten des Lebens aus.
Ein ängstlicherer Mensch legt mehr Protestverhalten an den Tag, also Handlungen, die Versuche sind, den Kontakt zu deinem Partner wiederherzustellen und seine Aufmerksamkeit zu bekommen. Wenn du das tust, handelst du leider auf schädliche Weise.
Sich durch die Grautöne, die Ungewissheit und die unbeantworteten Fragen bewegen zu können ist grundlegend wichtig für die Veränderung. Selbst wenn es sich im fraglichen Augenblick wie eine gute Idee anfühlt, auf eine bestimmte Art zu reagieren, solltest du daran arbeiten, innezuhalten und darüber nachzudenken, wie du dich fühlen würdest, wenn du dich stattdessen nicht auf eine bestimmte Art verhalten würdest.
Was sind deine Trigger? Kannst du lernen, sie auf eine Weise mitzuteilen, die für dich und deinen Partner gut ist?
Wenn du deinen Ängsten und Impulsen jedes Mal nachgibst, wirst du nie wissen, wie die Dinge anders sein könnten. Wenn der Impuls oder der zwanghafte Gedanke besteht und du nach diesem Zwang handelst, ist alles, was du tust, nur eine Wiederholung des gleichen Kreislaufs und du verstärkst damit das Verhalten.
Halte die Angst und das besorgte Gefühl aus konzentriere dich darauf, weniger zu reagieren.
3. Schaffe Raum in deiner Beziehung.
Egal, wie nahe du einem anderen Menschen bist, ist es ungesund, deine ganze Zeit mit ihm zu verbringen. Der andere fühlt sich überfordert und fängt an, Dinge zu tun, um sich aus der Beziehung zurückzuziehen. Wenn es schwer für dich ist, Zeit allein zu ertragen, wirst du eine Beziehung unweigerlich sabotieren.
Zwinge dich einfach dazu, locker zu lassen, damit ihr beide etwas Raum bekommt. Ich sehe ein, dass “zwingen” vielleicht ein harsches Wort ist, aber manchmal sind Änderungen notwendig, um die Beziehung in eine andere Richtung zu drehen.
Rede mit deinem Partner über dieses Thema und nimm dir in kleinen, gezielten Abschnitten Zeit für dich, bis du dich alleine wohler fühlst.
4. Arbeite daran, dein Selbstwertgefühl aufzubauen.
Fange damit an, Dinge allein zu tun und dich mehr auf dich selbst zu konzentrieren. Was machst du, das zum Verfall der Beziehung beiträgt? Welche negativen Gefühle steigen bei dir in Bezug auf dich selbst auf?
Unternimm Dinge, die für dich gesund sind, und lerne, dich sicherer und selbstbewusster zu fühlen. Das kann beispielsweise ein Ehrenamt, Freiwilligenarbeit, ein neues Hobby oder Tagebuchschreiben sein.
Es ist auch wichtig, dass du über deine Stärken nachdenkst, weil wir alle welche haben. Stelle dein Licht nicht unter den Scheffel. Denke daran, dass ein anderer Mensch dir einen Schub verleihen und hin und wieder dafür sorgen kann, dass du dich gut fühlst, aber es ist nicht seine Aufgabe. Es ist unsere eigene Verantwortung, dies für uns selbst zu tun.
Ein anderer Mensch kann nicht deine einzige Quelle der Freude sein. Das ist ganz schön viel Druck für den anderen.
Die gute Nachricht ist, dass du deinen Bindungsstil ändern kannst, indem du diese Verhaltensweisen identifiziert, wegen derer du feststeckst.
5. Arbeite an deinen Problemen mit dem Vertrauen.
Bedürftigkeit ist oft damit verbunden, anderen nicht zu vertrauen und Angst zu haben, verlassen zu werden. Wenn du anfängst, die Gefühlen eines anderen für dich anzuzweifeln oder Angst hast, verlassen zu werden, bringst du die Räder der Bedürftigkeit ins Rollen und dies wird den betreffenden Menschen nur dazu bewegen, von der Beziehung weglaufen zu wollen.
Hast du Angst vor dem Verlassenwerden? Hast du Angst, dass dein Partner nicht für dich da sein wird, wenn du ihn brauchst? Erwartest du von anderen, dafür zu sorgen, dass du dich gut fühlst und suchst du immer nach Bestätigung von außerhalb? Wenn ja, wo kommen diese Gefühle her?
Zu lernen, die Verknüpfungen zu machen, hilft dir zu verstehen, aus welchen Gründen du dich in einer bestimmten Situation auf eine bestimmte Weise fühlst, was dir wiederum hilft, deine Reaktion besser zu verstehen und sie zu ändern.
6. Erkenne deine Fähigkeit zur Veränderung an.
Die gute Nachricht ist, dass es im Leben immer die Gelegenheit zur Veränderung gibt. Du kannst deinen Bindungsstil ändern und von ängstlich oder vermeidend zu einer sicheren Bindung übergehen, also ist es wichtig, dich zu fragen, welche Veränderungen du vornehmen musst, um sicherer zu werden.
Ebenfalls wichtig ist es, deine Wahl des Partnertyps zu verstehen – Menschen mit einem ängstlichen Bindungsstil suchen sich oft Menschen mit einem vermeidenden Bindungsstil aus und umgekehrt. Der Rückblick auf deine Beziehungsgeschichte, um herauszufinden, welchen Partnertyp du dir tendenziell suchst und warum, wird ebenfalls zu positiven Veränderungen beitragen.