Ist es dir schon einmal passiert, dass du aufgewühlt, reizbar, wütend, traurig oder besorgt warst und irgendein wohlmeinender Mensch gesagt hat: “Komm schon, Kopf hoch” oder “Reiß dich zusammen” oder “Ich glaube, du übertreibst… sieh es positiv”?
Ich habe das jedenfalls schon erlebt und es fühlt sich nicht gut an, besonders dann, wenn mich starke Gefühle erfasst haben.
Zwar mag der andere gute Absichten haben, aber wenn man versucht, sich zu schnell in Positivität zu stürzen, ohne die aktuellen Emotionen anzuerkennen, kann man sich entwertet oder nicht gehört fühlen. Wenn das passiert, können die negativen Gefühle noch gesteigert werden.
Und sehr häufig machen wir dies auch mit uns selbst. Es ist einfach, unangenehme Gefühle zu verdrängen, uns zu sagen, dass wir so nicht empfinden sollten, unsere Gefühle zu ignorieren oder zu unterdrücken, oder uns zu schnell in unechte Positivität zu flüchten, was nach hinten losgehen kann.
Forschungen haben gezeigt, dass es psychologisch und physisch schädlich sein kann, unsere Gefühle wegzuschieben.
Um genau zu sein, wird der Begriff “toxische Positivität”, mit dem das Bedürfnis beschrieben wird, immer positiv zu sein (wobei die Vermeidung schwieriger Emotionen der Preis dafür ist), in der Welt der Psychologie wegen ihrer potenziellen Schädlichkeit zunehmend diskutiert.
Auf der anderen Seite ist es ebenso wenig hilfreich, in schwierigen Gefühlen ohne Ausweg steckenzubleiben, von ihnen überwältigt und gelähmt zu werden oder in der negativen, grüblerischen Denkweise gefangen zu sein, die oft mit intensiven Emotionen einhergeht.
Eine neue Art des Umgangs mit schwierigen Emotionen
Wie arbeiten wir also mit diesen unangenehmen Gefühlen, wenn sie auftauchen? Wie gehen wir auf gesunde Weise mit ihnen um, die unserem langfristigen Wohlbefinden zuträglich ist?
Unten mache ich fünf Vorschläge zur Arbeit mit häufig auftretenden unangenehmen Emotionen anhand der Fragen wer, was, warum, wo und wann.
(Wer aufgrund von Trauma, Trauer oder anderen Extremsituationen heftigere Gefühle durchmacht, sollte bei einem Psychologen oder Psychotherapeuten Rat suchen).
Wer, Was, Warum, Wo, Wann
Wenn du im Laufe des Tages unangenehme Emotionen wie Wut, Reizbarkeit, Frustration, Angst oder Traurigkeit bemerkst, versuche Folgendes:
1. Frage dich: “Wer taucht in diesem Augenblick auf?”
Stelle dir deine Gefühle wie Gäste vor, die zu dir nach Hause kommen. Du würdest die Gäste nicht zur Tür hinausschieben, aber du würdest den Gästen auch nicht das Haus überlassen.
Du würdest sie vielleicht bitten hereinzukommen, sich zu setzen und sie bewirten. Oft wird das Anerkennen unserer Emotionen, wenn sie sich gesehen und gehört fühlen, von einem Gefühl der Erleichterung begleitet.
Dich zu fragen “Wer ist hier?” hilft dir, etwas Raum zwischen dir und deinen Gefühlen zu schaffen und ruft dir in Erinnerung, dass es ein größeres Ich gibt, welches die Gefühle bemerkt, und dass deine Gefühle nicht du sind.
“Wer ist hier?” zu fragen hilft außerdem, deine Gefühle zu benennen. Beispielsweise: “Aha, der Ärger ist hier” oder “Aha, die Ungeduld ist hier”. Wir wissen von der Forschung, dass wir dadurch die Intensität des Erlebten verringern können.
2. Frage dich: “Was geht in meinem Körper vor?”
Übe dich darin, achtsame Bewusstheit und die damit einhergehenden Qualitäten der Freundlichkeit und Neugier zu dem mitzubringen, was du erlebst.
Wenn du Frustration empfindest, fällt dir vielleicht auf, dass sich dein Körper verkrampft und anspannt, dein Atem flacher wird und du den Kiefer zusammenbeißt.
Wenn uns diese Dinge auffallen, werden wir eingeladen, auf uns Acht zu geben, weicher zu werden, tiefer einzuatmen oder eine Hand aufs Herz zu legen als Geste der Selbstpflege. Achtsamkeitspraktiken sind nachgewiesenermaßen hilfreich bei der Regulierung von Emotionen.
Zudem kann die Frage hilfreich sein: “Was braucht meine ______ (füge deine Emotion ein) im Moment?” Vielleicht braucht meine Frustration von mir, dass ich diesen Moment als schwierig anerkenne und mir sage, dass ich die Fähigkeit habe, damit umzugehen.
Vielleicht will meine Wut, dass ich anerkenne, dass ich mich unter der Oberfläche verletzt fühle und wirklich gerne hätte, dass dieser andere Mensch meine Perspektive versteht.
3. Frage dich: “Warum kommt dieses Gefühl jetzt auf?”
Erkenne an, dass alle unsere Emotionen einen Zweck haben und uns hilfreiche Informationen geben können.
Viele unserer eher unangenehmen Emotionen stehen möglicherweise mit unserem primitiven Bedrohungssystem in Zusammenhang, das für unsere Vorfahren bei äußeren, physischen Bedrohungen besonders nützlich war.
Wenn dich jemand im Straßenverkehr schneidet und du Wut empfindest, oder wenn du dir Sorgen um deine Finanzen machst oder dich überfordert fühlst, weil du zu viel zu tun hast, versucht vielleicht deine primitive Reaktion auf Bedrohungen dich zu schützen, indem dein Körper auf eine Kampf-oder-Flucht-Stressreaktion vorbereitet wird.
Für unsere Vorfahren war es nützlich, bei einer Begegnung mit einem Tiger zu kämpfen oder zu fliehen, aber in unserem modernen Leben ist diese konditionierte Stressreaktion nicht immer hilfreich.
Diese emotionalen Signale können wir aber dennoch als hilfreiche Information nutzen.
Wenn ich merke, wie dies bei mir geschieht (wenn ich mir beispielsweise mitten in der Nacht Sorgen über etwas mache, das ich nicht kontrollieren kann), bedanke ich mich bei meinem primitiven Gehirn, dass es mich zu beschützen versucht, und suche dann nach effektiveren Lösungen für das Problem (wie beispielsweise mein Beruhigungssystem einzuschalten, um mich im Moment sicher fühlen zu können).
4. Frage dich: “Wo könnte diese Emotion aufbewahrt werden?”
Ich stelle mir oft Behälter vor – große, geräumige Behälter, in die meine schwierigen Gefühle hineinpassen.
Vielleicht gibt es einen Behälter des Selbstmitgefühls oder der Fürsorge für meine Traurigkeit, einen Behälter des Muts für meine Angst, einen Behälter der Akzeptanz für meine Selbstzweifel, einen Behälter der Bewusstheit und Betrachtungsweise für meine Reizbarkeit.
Wenn ich meine schwierigen Emotionen einlade, in diesen größeren, geräumigeren Behältern aufbewahrt zu werden, sorgt das für eine Erleichterung dessen, was ich gerade erlebe.
Es erinnert mich daran, dass es andere Qualitäten gibt, auf die ich zurückgreifen und die ich in mein Bewusstsein einladen kann, um meine Schwierigkeiten erträglicher zu machen.
5. Frage dich: “Wann kann ich weise handeln?”
Wenn wir diese Frage zu früh stellen, bevor wir die anderen Schritte hinter uns gebracht haben, ist sie möglicherweise nicht so wirkungsvoll.
Aber sobald wir unsere Gefühle auf eine Weise anerkennen, auf die sie sich gesehen und gehört fühlen, können wir uns fragen, ob es irgendwelche nützlichen Maßnahmen gibt, die wir ergreifen können.
Wenn ich eine leichte Irritation erlebe, kann ich mich vielleicht entscheiden, sie loszulassen und mich auf etwas anderes zu konzentrieren, das sich nährender anfühlt.
Wenn ich mich von einem anderen Menschen verletzt fühle, kann ich mich entscheiden, dieses Problem mit dem anderen zu besprechen, sobald ich ruhiger bin. Wenn ich traurig oder aufgewühlt bin, könnte ich vielleicht zur Selbstpflege einen Spaziergang machen oder einen Freund anrufen.
Die fünf Ws im Kopf zu haben ändert nichts daran, dass schwierige Emotionen im Laufe deines Tages, deiner Woche und deines Lebens auftauchen, aber es gibt dir doch die Möglichkeit, sie anders anzugehen und so vielleicht mehr Erleichterung zu erfahren.