Schwarzes Herz – by Felix Wolf

Schwarzes Herz

Magda ist weg. Ich versuche mich daran zu gewöhnen.

Sie sagte, dass sie in einem Jahr zurück sein wird, höchstens eineinhalb Jahre, aber wir beide wussten, dass sie in Bern ein neues Leben erwartet und dass sie höchstwahrscheinlich für immer geht. Nach allem, was vorgefallen ist, sollte es mir gleichgültig sein. Aber … trotzdem ist dies nicht der Fall.

Ich lag im Bett und versuchte mich selbst davon zu überzeugen, dass es gar nicht so schlecht ist wieder allein zu sein. Ich konnte überall hin gehen und tun, wozu immer ich Lust hatte.Beispielsweise konnte ich Renate zum Essen einladen. Doch ich empfand nicht mal das leiseste Verlangen danach, mich zu bewegen.

Erst am Abend habe ich Mut gefasst und bin ausgegangen. Ich bin die Straßen auf und ab gewandert, ohne Plan und Ziel. Am Ende steuerte ich vom Bürgersteig direkt in eine kleine Kneipe mit einem großen Heineken-Logo auf einer grünen Markise. Ich setzte mich vor dem verdunkelten Fenster und bestellte mir ein Bier. Paare sind die Straße hinab gelaufen, glücklich und sorgenlos, wie in einer Werbung für ein Versicherungsunternehmen. Ich trank und fragte mich, ob ich alles in meiner Macht mögliche getan habe, damit sie blieb.

*

Wo bist du jetzt, mein kleines Mäuschen? Worüber denkst du nach?

Es würde mich nicht wundern, wenn du über mich vor Fremden im Zug lästern würdest. Ich stelle mir vor, wie du ihn lüstern ansiehst. Eine Spur von Entfesselung, die sich auf der Mitte deiner Stirn bemerkbar macht, klettert deine Nase hinunter bis zu deinen vollen, offenen Lippen. Du bist feucht vor Erregung.

Du bist eine Schlampe, Magda. Du bist eine gewöhnliche, billige Schlampe.
Doch genauso liebe ich dich.

*

Ich wusste, dass dies einmal geschehen wird. Jetzt habe ich nicht mal das Recht, auf sie sauer zu sein.
Und vor nur drei Nächten war sie hier, in meiner Wohnung. Im Zimmer kann man immer noch den Duft ihres Parfüms riechen. Sie sprach über die Liebe, über magische Momente, die zwei Menschen gemeinsam erleben können, über die Zukunft und Kinder. Ich schwieg und hörte ihr zu, es nicht wagend, sie zu unterbrechen.

Dann machten wir Liebe.

Als sie am Morgen sagte, dass sie geht, wusste ich nicht, was ich sagen soll. Ich bin ihre Überraschungsspiele gewöhnt, ich schwieg und starrte auf die Brotscheibe, über der sie die Butter strich. Frische Morgenluft kam durch die offenen Fenster.

„Ich melde mich jeden Tag bei dir“, sagte sie. „Ein Jahr wird schnell vergehen, du wirst schon sehen.“
Wie viele Lügen kommen nur aus so einem kleinem, schönen Mund?!

Warum hast du gelogen, Magda? Hast du vielleicht erwartet, dass ich dich anflehen werde zu bleiben? Ja, das würde dir ähnlich sehen. Aber du hast dich getäuscht. Dieses Mal habe ich beschlossen, noch das kleine bisschen an Würde zu behalten. Außerdem wissen wir beide, dass es nichts genützt hätte. Ich habe in deinen Augen gesehen, dass du dich bereits entschieden hast – es blieb dir nur noch, mir das mitzuteilen. Und nun sind wir hier, in diesem Rechenheft, auf dessen Seiten ich deinen Namen kritzle.

Magda, Magda, Magda …

*

Ich rauche bereits den dritten Joint hintereinander. In der Wohnung gegenüber spielt Renate Klavier. Es fehlen nur noch Regentropfen vom Himmel. Was für ein Klischee.

Ich lege mich auf meinen Bauch hin und stecke meine Arme unter das Kissen.
So also befriedigen Leute, die niemanden haben, ihr Bedürfnis nach einer Umarmung.

Dieses Klavier … Was ist das überhaupt? Irgendein Mozart oder Bach? Das ist schön. Es passt zu diesem Gefühl. Obwohl ich – hätte ich einen Trunken Lust aus dem Bett zu kriechen – etwas Hartes und Lautes aus den Lautsprechern lassen würde.

Willst du bis der Tod euch scheidet

treu ihr sein für alle Tage?

NEIN!

NEIN!

(Fortsetzung folgt)

Felix Wolf