Warum du ihn retten willst – und dich selbst dabei vergisst

Ich weiß noch, wie es angefangen hat. Es war nicht laut. Nichts hat mich gewarnt. Kein lautes „Achtung“, kein deutliches Gefühl, dass hier etwas nicht stimmt. Ganz im Gegenteil – es fühlte sich an wie Ankommen.

Wie Ruhe. Wie jemand, der anders war als all die vorher. Jemand, der mich wirklich sah.

Er sprach nicht viel über sich, aber genug, um mir ein Bild zu malen. Von einem Mann, der zu viel erlebt hatte. Der enttäuscht worden war. Der nie gelernt hatte, sich zu zeigen, aber es vielleicht könnte – mit mir.

Ich weiß noch, wie ich da saß, seine Stimme in meinem Ohr, seine Vergangenheit in meinem Kopf, und dieses Gefühl hatte: Ich will der Mensch sein, bei dem er weich werden darf.

Ich habe nicht beschlossen, ihn zu retten. Es war kein bewusster Plan. Es war eher so, dass ich einfach angefangen habe, alles zu halten, was er nicht tragen konnte. Seine Stimmungsschwankungen. Seine Wortlosigkeit. Seine Distanz.

Ich fing an, Verständnis zu entwickeln, bevor er überhaupt etwas erklärte. Ich übersetzte sein Schweigen in Tiefe, seine Unverbindlichkeit in Angst, seine Abwertungen in Unsicherheit. Und während ich all das tat, vergaß ich irgendwann, wie ich mich selbst eigentlich fühlte.

Ich dachte, das ist Liebe. Dass man bleibt, wenn es schwierig wird. Dass man sich zurücknimmt, wenn der andere gerade kämpft. Dass man sich nicht zu wichtig nimmt, wenn man sieht, dass da jemand ist, der es schwerer hatte.

Ich hielt seine Wut aus, weil ich wusste, dass sie nicht wirklich mir galt. Ich blieb leise, wenn er abtauchte, weil ich hoffte, dass er zurückkommt, wenn er wieder kann. Ich war da, wenn er spät nachts doch noch schrieb. Ich war auch da, wenn er mich tagelang ignorierte.

Ich habe meine Würde in kleine Teile zerschnitten, weil ich glaubte, dass Nähe nun mal nicht immer schön ist. Und weil ich dachte, dass ich ihm damit etwas zeige, was er nie gelernt hat: bedingungslose Zuwendung.

Aber was ich nicht sah: Ich war längst nicht mehr bei mir.
Ich wartete auf kleine Zeichen wie auf große Versprechen. Ich fühlte mich leer – aber überspielte es mit Geduld.

Ich hatte das Gefühl, nichts zurückzubekommen, aber redete mir ein, dass das okay ist, solange er sich sicher fühlt. Und ich fragte mich immer öfter: Wann ist aus mir die Frau geworden, die alles gibt und nichts mehr fordert?

Es ist dieser Punkt, an dem man merkt, dass man sich selbst verlassen hat – nicht für jemanden, der einen wirklich braucht, sondern für jemanden, der gar nicht da ist. Ich war nicht seine Rettung. Ich war nur seine Zwischenstation. Ein Ort, an dem er sich ausruhen konnte, ohne sich zeigen zu müssen. Und ich habe das verwechselt mit Liebe.

Heute weiß ich: Ich wollte ihn retten, weil ich dachte, dass Liebe das kann. Weil ich glaubte, dass, wenn ich nur tief genug verstehe, sich alles verändern kann. Aber Liebe heilt nur, wenn sie erwidert wird. Wenn sie auf echter Gegenseitigkeit beruht.

Wenn du nicht immer die bist, die mehr sieht, mehr gibt, mehr spürt. Ich habe geglaubt, dass meine Geduld etwas beweist. Aber alles, was ich bewiesen habe, ist, wie sehr ich bereit war, mich selbst zu vergessen.

Und vielleicht erkennst du dich irgendwo darin wieder. Vielleicht wartest du gerade auf einen Mann, der sich nicht entscheiden kann. Vielleicht hältst du gerade durch, weil du das Gute in ihm siehst. Vielleicht versuchst du, für zwei zu lieben.

Wenn ja, dann bitte ich dich: Frag dich nicht, ob du zu viel bist. Frag dich, wann du angefangen hast, dich selbst zu übergehen. Frag dich, was du eigentlich brauchst – nicht, was du aushalten kannst.

Denn wenn du jemanden retten willst, der dich still übergeht, dann wirst du irgendwann nicht mehr wissen, wo du aufgehört hast und wo sein Chaos begonnen hat. Und das ist kein Zeichen von Liebe – das ist ein Zeichen, dass du gerade dabei bist, dich selbst zu verlieren.

Du bist nicht hier, um jemanden zu heilen, der dich verletzt. Du bist nicht dafür gemacht, still zu sein, damit jemand anderes laut bleiben darf. Du bist nicht stark, weil du alles aushältst – du bist stark, wenn du dich selbst zurückholst.

Wenn du gerade an der Schwelle stehst, an der du merkst, dass du wieder beginnst, dich selbst zu überholen, nur um jemand anderem nah zu bleiben – dann nimm das ernst. Nicht mit Vorwürfen, sondern mit Mitgefühl.

Für dich.
Für dein Herz.
Für all die Anteile in dir, die glauben, dass Liebe Opfer braucht.

Und erinnere dich: Die einzige, die du retten darfst – bist du.

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