Wie die Ehe unserer Eltern uns formt

Als Kinder denken wir, dass alles, was bei uns zu Hause passiert, auch überall sonst passiert.

Erst wenn wir anfangen, die große weite Welt außerhalb des Zuhauses unserer Familie zu erkunden, hinterfragen wir diese Überzeugung langsam. Ganz besonders dann, wenn unsere Familie tatsächlich dysfunktional ist.

Während erwachsene Kinder geschiedener Eltern wahrscheinlich eher darauf konzentriert sind, wie die Trennung sich auf sie ausgewirkt hat, ist dies möglicherweise nicht bei Kindern der Fall, deren Eltern zusammengeblieben sind.

Obwohl wir den Prozess der Heilung von der Kindheit mit der Erkenntnis beginnen, welche Verhaltensweisen unserer Eltern sich negativ auf uns ausgewirkt haben, sehen wir oft nicht, wie ihre gemeinsame Bindung uns beeinflusst hat.

Dabei kann die Ehe unserer Eltern einen genauso großen – wenn auch unsichtbaren – Einfluss auf uns haben wie ihr individuelles Verhalten.

Die Ehe deiner Eltern: Variationen zu einem Motiv

Die Ehe meiner Eltern war früher ein Rätsel für mich. Auch wenn mir schon als kleines Kind absolut klar war, dass mein Vater meine Mutter anbetete, war ich verwirrt darüber, wie sie ihn abwechselnd mit Zuneigung überschüttete und ihm Vorwürfe dafür machte, ihr nicht den Luxus zu bieten, den sie sich wünschte.

Der Tod meines Vaters, als ich 15 war, setzte der Geschichte ein vorzeitiges Ende, aber obwohl ich ganz klar nie erlebt habe, dass meine Eltern ein Problem je konstruktiv gelöst hätten, war die Loyalität meines Vaters zu meiner Mutter – und dass er sie unterstützte – absolut stärker als seine Liebe zu mir.

Manche Kinder fühlen sich von beiden Elternteilen ignoriert und ungeliebt, nicht wegen einer kaputten Beziehung der Eltern, sondern weil die Beziehung im Grunde eine geschlossene Gesellschaft ist.

In solchen Fällen sind die Eltern zwei Planeten, die umeinander kreisen, vollständig als Dyade, und auch wenn sie Kinder oder ein Kind haben, haben sie im Grunde kein emotionales Bedürfnis nach ihm oder ihnen.

Forschungen haben gezeigt, dass Kinder, die in extrem konfliktreichen und wechselhaften Ehen – voller Lärm und Wut – aufgewachsen sind, mehr Schwierigkeiten im Umgang mit ihren Gefühlen haben, und zudem haben Studien gezeigt, dass durch Konflikte der Eltern verursachter emotionaler Stress höhere kognitive Verarbeitungsfunktionen beeinträchtigt.

Kindern aus solchen Familien fiel es schwer, auf ihnen gezeigten Fotos von zwei miteinander sprechenden Menschen eine neutrale Interaktion zu erkennen, während sie gutgelaunte oder wütende Interaktionen gut erkennen konnten.

Eine mögliche Erklärung, warum sie Neutralität nur schwer erkennen konnten, könnte sein, dass Kinder die Deutung der elterlichen Konflikte als eine Art Radar nutzen, um sich zu schützen.

Wenn Töchter damit aufwachsen, immer besonders wachsam auf Anzeichen von Ärger achten zu müssen, können sie Neutralität als Wut fehlinterpretieren; für ängstlich-besorgte Erwachsene ist dies ein großes Problem.

Streitigkeiten werden von Kindern natürlich als Bedrohung für die Stabilität der Familie interpretiert, und Kinder, die von Bedrohungen umgeben aufwachsen – dass ein Elternteil geht oder dass über eine Scheidung gesprochen wird – sind wahrscheinlicher furchtsam und ängstlich als Kinder, bei denen dies nicht der Fall ist.

Wie eine Leserin es ausdrückt: „Ich habe meine Kindheit in der Angst verbracht, dass mein Vater seine Drohung wahr machen würde, uns zu verlassen. Er hat es auch immer genau so ausgedrückt – dass er uns verlassen würde.

Als er dann ging, als ich 13 und meine Schwester 10 war, waren wir beide überzeugt, dass er gegangen war, weil wir beide zu schlecht waren, um sich mit uns abzugeben. Meine Mutter hat zu ihrer ewigen Schande nichts getan, um diesen Eindruck richtigzustellen, und auch mein Vater nicht.“

Aber eine durch stille Feindseligkeit gekennzeichnete Ehe – ohne Schreien oder Brüllen, aber trotzdem völlig ohne Kommunikation und Respekt zwischen den Eltern – richtet einen Schaden anderer Art an.

Probleme und Schwierigkeiten werden in solchen Haushalten unter den Teppich gekehrt und es gibt so gut wie keine Gespräche darüber, wie sich irgendjemand fühlt.

Die Beziehung der Eltern ist oft die Basis für das Gefühlsleben der Familie, und sich dieses Gefühlsleben genauer anzusehen kann sehr aufschlussreich sein.

Eltern als Emotionscoaches

Während manche Eltern als Emotionscoach fungieren, tun andere Eltern Emotionen ab. Emotionscoaches waren ichbewusste Eltern, die auf die Rolle von Gefühlen in ihrem Leben geachtet haben, besonders die der negativen Emotionen.

Sie konnten differenziert über ihre Gefühle sprechen, waren sich der Gefühle ihrer Kinder bewusst und haben ihren Kindern dabei geholfen, mit Emotionen wie Wut und Traurigkeit umzugehen.

Dies ist eine Erziehungsphilosophie aus der Sicht der Forscher; in heutigen Begriffen könnten wir es einfach so ausdrücken, dass diese Eltern hohe emotionale Intelligenz besitzen und verstehen, dass emotionale Intelligenz eine erlernte Fähigkeit ist, die unterstützt und gesteigert werden kann.

Für die Emotionscoach-Philosophie wurden von den Forschern fünf Komponenten bestimmt:

– Bewusstsein der Eltern für Emotionen geringer Ausprägung bei sich selbst und ihren Kindern;

– Betrachtung der negativen Emotionen des Kindes als Gelegenheit für Lernen oder Nähe;

– Ansicht der Gefühle ihres Kindes als gültig;

– Unterstützung des Kindes bei der Benennung seiner Emotionen, und

– Problemlösung mit dem Kind, Setzen von verhaltensbezogenen Grenzen und Finden von Strategien zum Umgang mit der Situation, die zu der negativen Emotion geführt hat.

Interessanterweise wurde von den Forschern keine Verbindung zwischen Emotions-Coaching und elterlicher Wärme gezogen und sie merkten an, dass auch besorgte und positive Eltern sich der Welt der Gefühle nicht bewusst sein können.

Aber ihre Vermutungen über Eltern mit einer geringschätzigen Meta-Emotionsphilosophie sind der Knackpunkt in der Diskussion darüber, wie sich die Ehe deiner Eltern auf dich ausgewirkt hat, besonders in einem Zuhause, das sich in Bezug auf Gefühle durch absolutes Schweigen ausgezeichnet hat.

Solche Eltern dachten, dass Wut oder Traurigkeit des Kindes dem Kind schadeten, dass ihre Aufgabe darin bestünde, diese Gefühle zu ändern, dass das Kind erkennen müsse, dass diese Gefühle unwichtig und vorübergehend seien und dass das Kind diese Gefühle überstehen könne und solle. 

Traurigkeit wurde oft als Belastung für die Eltern empfunden, als ein Problem, welches sie lösen mussten, und sie dachten, dass das Kind dadurch glücklich werden würde, dass die Traurigkeit als unwichtig abgetan wird.

Zudem legten einige Eltern zeitliche Begrenzungen für die Traurigkeit fest und wurden ungeduldig oder gereizt, wenn das Kind sein emotionales Verhalten nicht änderte.

Diese Eltern erklärten oder beschrieben die emotionale Erfahrung ihres Kindes nicht, halfen dem Kind nicht mit seinen Emotionen oder zeigten ihm, wie das Problem gelöst oder angegangen werden konnte, das diese Emotionen hervorgerufen hatte.

Sie betrachteten das Gefühl auch nicht in irgendeiner Form als nützlich oder als eine Gelegenheit für Nähe. Zudem bemerkten die Forscher, dass viele Familien, die Gefühle gering schätzten, ihre Kinder für den Ausdruck von Wut sogar bestraften oder ihnen eine Auszeit verordneten.

Das Modell verstehen, mit dem du aufgewachsen bist

Bei der Überlegung, wie dein Vater und deine Mutter Emotionen betrachtet haben und welchen Umgang sie damit vorgelebt haben, solltest du auch einbeziehen, wie ihre Einstellung sich auf dich ausgewirkt hat.

Schienen sie eine gemeinsame Gefühlsphilosophie zu haben, und haben beide einheitlich gehandelt? Wurde von einem oder beiden Scham oder die Androhung von Strafen eingesetzt, um dich zu bewegen, deine Gefühle zu unterdrücken oder zu verstecken?

Viele ungeliebte Töchter lernen, ihre Gefühle zu verstecken, weil sie für deren Ausdruck verspottet oder lächerlich gemacht werden; andere, wie ich selbst, lernen, dass es nichts bringt, über ihre Gefühle zu sprechen, weil sowieso niemand zuhören wird.

All diese Verhaltensweisen der Eltern tragen stark zu den Defiziten bei, die die ungeliebte Tochter bei der Handhabung ihrer Gefühle als Erwachsene hat.