Die narzisstischen “kritischen Denker” in deinem Leben erklärt

Hast du einen dieser narzisstischen kritischen Denker in deinem Leben, der immer etwas findet, was an dir falsch ist und dafür sorgt, dass du dich schrecklich fühlst?

Ich höre von vielen Kommentaren von Leuten, die stolz auf ihr kritisches Denken sind. Sie mögen Fakten. Sie mögen die Realität. All die Idioten, die sich ihnen entgegensetzen, sind unrealistisch und verblendet. 

Ich bezeichne sie als die korrupte Denkfehlerpolizei. Sie sind ganz schnell dabei, andere Leute dafür zu belehren, dass sie den anspruchsvollen Standards des kritischen Denkens nicht entsprechen, aber sie tolerieren keinerlei Kritik an ihren eigenen Überzeugungen. 

Wenn du sie auf einen Trugschluss in ihrem Denken hinweist, ignorieren sie das oder tun es ab – oder noch besser, klagen dich eines anderen Versagens an.

Sie teilen kritisches Denken aus, aber wage es nicht, sie dazu zu bringen, es auf ihre eigenen Überzeugungen anzuwenden. Wenn du es versuchst, verfolgen sie dich mit der ganzen Macht des Gesetzes, eines Haufens auswendig gelernter klischeehafter Argumentationshilfen. 

Sie bestehen darauf, bei allen Debatten, an denen sie sich beteiligen, die Leitung zu übernehmen. Sie kennen den Knackpunkt des Problems. Dieser ist immer das, von dem sie denken, dass es alle anderen Anliegen übertrumpft.

Wenn du ihnen nicht zu dem folgst, was sie für ausschlaggebend halten, bist du verblendet, weil sie schließlich kritische Denker sind!

Zum Beispiel höre ich oft von Leuten, die im Grunde sagen: “Du hast den Ad-hominem-Trugschluss benutzt und darum hast du mit allem unrecht”, ohne zu bemerken, dass sie selbst ein Ad-hominem-Scheinargument einsetzen.

Es ist natürlich, dem Ichbewusstsein misstrauisch gegenüberzustehen. Ichbewusstsein erzeugt Befangenheit, Hinterfragen und Zweifel. Das sind tolle Sachen, solange sie andere Leute betreffen. Deine Gegner sollten es tun, aber du solltest es nicht müssen.

Es ist befreiend, deine eigenen kritischen Denkfehler zu ignorieren und das kann man, wenn man sich auf die anderer Leute konzentriert. Lass deine Polizeisirene laut aufheulen und du musst dich selbst nicht denken hören. 

Ich liebe kritisches Denken. Sokrates wird allgemein als dessen Begründer angesehen, ein Anführer im Zweifeln und Hinterfragen. Ironischerweise wird er auch als Begründer des Gegenteils betrachtet, der Suche nach absoluter Wahrheit jenseits allen Zweifels und Hinterfragens.

Ich finde beide Ziele gut, glaube aber nicht, dass sie erreichbar sind. Seit Sokrates haben wir erkannt, dass wir nicht das bezweifeln können, von dem wir nicht wissen, dass wir es annehmen, und dass es keine absoluten Wahrheiten gibt, die gegen alles Zweifeln und Hinterfragen immun sind. 

Ich schätze Sokrates am meisten für seine Schwierigkeiten mit Sophisten, Leute, die kritisches Denken (Logik oder Logos) nur benutzen, um auf den Sichtweisen anderer Menschen herumzuhacken, oder mit anderen Worten: um kritisches Denken als Arsenal des Gaslighters, Narzissten, totalen Arschlochs auszunutzen. 

Sophisterei ist heutzutage eine Pandemie. Die Welt ist unheimlich kompliziert geworden. In unserem derzeitigen Sandsturm von Zweifel erzeugenden Möglichkeiten ist es nicht angenehm, ichbewusst und zweifelnd zu sein.

Menschen werden darum von Natur aus von allem angezogen, was sie von sich überzeugt macht, als ob sie die absolute Wahrheit jenseits aller Zweifel gefunden haben. Dich zum kritischen Denker zu erklären, kommt in dieser Hinsicht sehr gelegen. 

Du kannst dich einfach zum kritischen Denker erklären, ohne jemals darin ausgebildet worden zu sein oder dir irgendwelche Gedanken darüber zu machen, was der Begriff eigentlich heißt.

Schmücke dich einfach mit dem Kompetenzabzeichen des kritischen Denkens, weil die coolen Kids es gerade tragen. Du bist ein kritischer Denker, weil du es sagst.

Genau wie jemand, der sich als Alleswisser aufspielt, nicht viel wissen muss, muss jemand, der sich als kritischer Denker aufspielt, nicht viel kritisch denken. 

Dieses Abzeichen lässt sich mit Stolz tragen, wenn du über deine eigenen Überzeugungen nicht kritisch nachdenkst. Ich nenne es “Ausgenommen durch Verachtung”.

Du hast eine solche Verachtung für unkritische Denker, dass du ein Experte für unkritisches Denken sein musst und deshalb davon ausgenommen bist. “Moi! Unkritisch?! Unmöglich! Ich hasse unkritisches Denken!”

Es ist wie das ständige Opfer von Unfairness zu spielen und davon auszugehen, dass du ein Experte für Unfairness bist und dich damit davon freistellst, jemals der Unfairness beschuldigt zu werden. “Ich bin fair, weil ich immer weiß, wenn jemand unfair zu mir ist!”

Oder du kannst dich zum kritischen Denker erklären, weil du einer Führungspersönlichkeit folgst, die behauptet, einer zu sein. 

Menschen fallen oft auf Anführer herein, die sich einfach als kritische Denker stilisieren und wie der Rattenfänger von Hameln die rhetorische Musik des kritischen Denkens nutzen, die aufrechte Haltung, die elterliche Stimme der Schelte, die schmeichelhafte Kleidung, ohne je echtes kritisches Denken einzusetzen, außer jedes Infragestellen ihrer unkritischen Selbstüberzeugung niederzuprügeln. 

Oder du kannst einen Kurs im kritischen Denken belegen und davon wegen der Macht begeistert sein, die es dir gibt, Denkfehlerpolizei zu spielen – bewaffnet, um deine Bauchgefühlannahmen zu verteidigen. Erkläre dich zum Experten für kritisches Denken und nimm es mit der Welt auf!

Das allgemeine Muster sieht so aus:

Zuerst spitzt du die Ohren bei einer Führungspersönlichkeit, die sich als der kritischste Denker von allen aufspielt, einem Menschen, der deinen Intuitionen Würde verleiht.

Du bist gefesselt von der aufkeimenden Romanze zwischen deinen Intuitionen und diesem rational klingenden Anführer. Du verliebst dich.

Ihr heiratet. Du folgst den Ideen dieses Anführers und findest darüber gleichgesinnte Denker, die ebenfalls in der von dir angestrebten Stimme singen, mit deinen intuitiven Ideen und einem Stil, den du verehrst. 

Du studierest eifriger, als du je studiert hast. Du warst vorher kein großer Lerner, aber jetzt schwirrt dir der Kopf mit all den sich selbst bestätigenden Sachen, die du lernst.

Du plapperst den Stil dieser Anführer nach. Du lernst die Argumentationshilfen dieser Anführer auswendig. Du merkst, dass du einen ganzen Stamm von Leuten hast, die dir zustimmen, also musst du doch recht haben. 

Was für eine Erleichterung! Du bist wie das unentdeckte Genie, wie der Bettler, der herausfindet, dass er eigentlich schon immer ein Prinz war, oder das hässliche Entlein, das sich als prächtiger Schwan herausstellte! 

Du siehst deine Stammesmitglieder in Aktion beim Kampf gegen die Idioten da draußen, denen deine kritischen Denkfähigkeiten fehlen. Du siehst zu, wie deine Gegner in diesen Schlachten fallen. Du machst es ihnen nach. Du bist beeindruckt, wie effektiv du darin bist, Leute mit deiner neuen Combo aus Bauchgefühl, “kritischem Denken” und auswendig gelernten Argumentationshilfen zu besiegen.

Du bestehst darauf, alle Gespräche und Debatten in deine Wohlfühlzone zu verschieben, dahin, wo du Leute mit deinen nachgeplapperten Argumentationshilfen schlagen kannst.

Die Leute gehen frustriert – ein Siegeszeichen für deine Intuitionen, Rationalität und Argumentationshilfen. Mit jedem Triumph deiner neugewonnenen Kräfte bist du immer mehr überzeugt, dass deine Gegner Narren sind. 

Noch nie im Leben hast du dich mehr an der Welt beteiligt gefühlt; und nie glücklicher.

Zu viele Menschen lernen einen gefährlichen Schluck kritischen Denkens, ohne es jemals bei ihren eigenen Überzeugungen zu verwenden. Es gibt Methoden, kritisches Denken zu vermitteln, die nicht diesen furchtbaren Effekt haben. In diesem Artikel habe ich sie beschrieben, aber hier sind sie in Kurzform:

Kritisches Denken ist hauptsächlich die Fähigkeit, Trugschlüsse zu erkennen, schwache Argumente für eine Behauptung, mit anderen Worten: die Fähigkeit, Spin zu ent-Spinnen, die leeren oder dünnen rhetorischen Argumente zur Unterstützung einer Behauptung.

Die Behauptungen können richtig oder falsch sein. Betrachte Denkfehler als “Undikatoren”, als Indikatoren, die bei Behauptungen weder in die eine noch die andere Richtung weisen. 

Trugschlüsse bilden Gegensatzpaare: Zum Beispiel ist es ein Trugschluss zu sagen, dass eine Behauptung richtig sein muss, weil viele Leute sie glauben. Es ist auch ein Trugschluss zu sagen, dass deine Behauptung richtig sein muss, weil du ein tapferer Alleingänger bist, der sie entgegen aller Wahrscheinlichkeit glaubt.

Wunschdenken ist ebenfalls ein Trugschluss, aber auch “schreckliches Denken”, die Annahme, dass eine Behauptung richtig sein muss, weil die Leute sie nicht hören wollen. 

Jeder Trugschluss ist auch ein rhetorisches Mittel. Mit anderen Worten: Wenn du weißt, wie du den Spin eines Arguments durchschauen kannst, weißt du auch, wie man ihm den Spin verleiht. Die Sozialpsychologie liefert heute fortgeschrittene Arbeiten über das Drehen und Entdrehen von Argumenten.

Sie inventarisiert die Varianten menschlicher Anfälligkeit für Überzeugung. Die grundlegendste ist die Bestätigungsverzerrung. Du verdrehst, was du glauben willst und entdrehst, was nicht. 

Verantwortungsvolles kritisches Denken kann beigebracht werden, indem Wege gezeigt werden, wie man Bestätigungsfehlern entgegenwirkt und sie dadurch neutralisiert.

Mit anderen Worten: Schüler ihre eigenen Behauptungen entdrehen zu lassen und die Behauptungen ihres Gegners zu verdrehen. Bringe Schülern bei, kritisches Denken auf ihre Behauptungen anzuwenden und überzeugende rhetorische Argumente zur Unterstützung ihrer Gegner zu machen. 

Einen dieser toxischen, narzisstischen, kritischen Denker in deinem Leben zu haben ist ähnlich, wie einen Kaktus ständig an deinem Körper zu haben; er wird dich immer verletzen.

Egal, was du tust, werden sie immer einen Weg finden, dich klein zu machen und dafür zu sorgen, dass du dich schrecklich fühlst. Narzisstische kritische Denker sind stolz auf die Tatsache, dass sie geradeheraus sind und sagen, wie es ist, ohne zu bedenken, wie gemein und toxisch sie anderen gegenüber sind.

Wenn du so jemanden in deinem Leben hast, bringe ihn in dem Moment zum Schweigen, in dem er anfängt, seine Toxizität zu zeigen, und gib niemals nach, egal was passiert.